Vom Euromaidan zum Krieg

Die ständi­gen Desin­for­ma­tio­nen von Quer­denkern, Reichs­bürg­ern und der recht­sex­tremen AfD haben diese Beiträge aus mein­er Sicht nötig gemacht. Seit Jahren ver­sucht Rus­s­land mit Fake News und Trollen auf Social Media die Leser zu bee­in­flussen. Auch das rus­sis­che Nar­ra­tiv vom ukrainis­chen Nazi sollte hin­ter­fragt wer­den. Um eines vor­weg zu nehmen, es gibt in der Ukraine wie in jedem Land nationale / recht­sex­treme Grup­pierun­gen. Im Gegen­satz zu Deutsch­land und anderen Län­dern in der EU, sind im ukrainis­chen Par­la­ment keine recht­spop­ulis­tis­chen Parteien mehr vertreten.

Die Amerikan­er sind schuld

Chronolo­gie

Das rus­sis­che Nar­ra­tiv der ukrainis­chen Nazis

Sla­va Ukrai­ni: Ruhm der Ukraine, über­set­zt als Ehre der Ukraine oder Hoch lebe die Ukraine, ist eine gängige Gruß­form und ein beliebter Slo­gan in der Ukraine. Seit 2018 ist der Zuruf „Ruhm der Ukraine!” sowie die Antwort “Den Helden Ruhm“ der offizielle mil­itärische Gruß der ukrainis­chen Stre­itkräfte. Im Ver­lauf des rus­sis­chen Über­falls auf die Ukraine 2022 fand der Slo­gan als Aus­druck des Wider­stands bei inter­na­tionalen Protesten weite Ver­bre­itung. Rus­sis­che Medi­en und deren Steig­bügel­hal­ter der AfD haben eine andere Ausle­gung zu Sla­va Ukrai­ni.

Wenn sich in diesen Zeit­en irgend­wo ein Volk erhebt und eine Regierung fällt, ist der Ver­ant­wortliche für weite Teile der Quer­denker oder AfD Pro­tag­o­nis­ten schnell aus­gemacht: Die Amerikan­er waren es. Sie waren sich doch schon früher nie zu schade für Putschver­suche, wenn es den eige­nen Inter­essen genehm war. Dafür war ihnen jedes Mit­tel recht, ob nun in Pana­ma, in Chile, in Nicaragua, im Iran – die Liste ließe sich lang fort­set­zen. Warum also soll es auf dem Maid­an in der Ukraine 2014 anders gewe­sen sein? Nur, dass man dies­mal eben das Volk aufgewiegelt hat.

Gern wird dann das Buch Die einzige Welt­macht des früheren amerikanis­chen Präsi­den­ten­ber­aters Zbig­niew Brzezin­s­ki bemüht. Darin beze­ich­net er die Ukraine als “geopoli­tis­chen Dreh- und Angelpunkt”, der über die Tek­tonik Europas entschei­de – als wäre dieser Befund schon Beweis amerikanis­ch­er Macht­poli­tik und nicht erst The­o­rie. (Quelle)

Die Rolle der USA in Ost- und Mit­telosteu­ropa wird der­maßen über­schätzt und über­laden, dass ein kurz­er his­torisch­er Rück­blick die Ein­schätzung erden hil­ft. Denn ähn­lich wie die Ukraine heute ken­nt sich beson­ders ein Land mit Ent­täuschun­gen und Entza­uberun­gen amerikanis­ch­er Art ziem­lich gut aus, Polen näm­lich.

1973 erschien in der pol­nis­chen Exil-Zeitschrift Kul­tura ein Text des Pub­lizis­ten Juliusz Mieroszews­ki über die amerikanis­che “Ost­poli­tik”. Mieroszews­ki gehörte zu jen­em Umfeld Intellek­tueller und Lit­er­at­en, die aus Polen fliehen mussten und von Paris aus mit Worten für eine unab­hängige Heimat kämpften. Während also die Amerikan­er für ihren antikom­mu­nis­tis­chen Viet­namkrieg 120 Mil­liar­den Dol­lar aus­gegeben haben, bemerk­te Mieroszews­ki bit­ter, bekam der Auf­s­tand in Ungarn, eben­falls gegen ein repres­sives kom­mu­nis­tis­ches Regime gerichtet, keine 120 Dol­lar.

Jene, die davon überzeugt sind, dass der Maid­an-Auf­s­tand in Kiew eine fin­gierte und gekaufte Sache war, wird die Erin­nerung an Mieroszews­ki nicht überzeu­gen.

Die Amerikan­er haben dank Stiftun­gen und Organ­i­sa­tio­nen wie USAID oder Nation­al Endow­ment for Democ­ra­cy über Jahrzehnte Mil­lio­nen in der Ukraine aus­gegeben, haben zivilge­sellschaftliche NGOs finanziert, Wahlbeobachter aus­ge­bildet, Antiko­r­rup­tions Kam­pag­nen vor­ange­bracht.

Die von dem Mil­liardär George Soros finanzierte Stiftung Renais­sance in der Ukraine hat ver­hafteten Maid­an Aktivis­ten die Anwälte bezahlt, zivilge­sellschaftliche Tre­f­fen koor­diniert und die Ver­sorgung von Ver­wun­de­ten mit­fi­nanziert. Aber diese Unter­stützung taugt nicht als Erk­lärung dafür, warum sich im Win­ter 2014 Zig­tausende mit­ten in Kiew gegen ihre Machthaber erhoben.

Die Fix­ierung auf Amerikas Macht, die Pro­jek­tion von ein­er Über­ma­cht spiegelt nicht nur ein Welt­bild wider, das gern von einem Teil der AfD gepflegt wird, die der alten Block­aufteilung der Welt nach­trauern. Es ver­rät vor allem viel über deren Men­schen­bild, dass Men­schen grund­sät­zlich käu­flich sind. Dass Überzeu­gun­gen keine Rolle spie­len, son­dern das Ergeb­nis per­fider Manip­u­la­tio­nen sind. Dass ein paar Mil­lio­nen Dol­lar reichen, damit Men­schen gle­ich Zom­bies auf die Straße gehen und ihr Leben aufs Spiel set­zen.

Chronologie

21. Novem­ber 2013

Unter rus­sis­chem Druck ver­weigert der ukrainis­che Präsi­dent Wik­tor Janukow­itsch die Unter­schrift unter das Assozi­ierungsabkom­men mit der EU. Vor allem Stu­den­ten gehen in Kiew dage­gen auf die Strasse.

30. Novem­ber 2013

Die Polizei ver­prügelt die Demon­stran­ten auf dem Platz der Unab­hängigkeit (Maid­an Nesales­chnos­ti). Das harte Vorge­hen der Sicher­heit­skräfte weckt den Wider­stand in der bre­it­en Bevölkerung. In den fol­gen­den Wochen find­en in der Haupt­stadt regelmäs­sige Demon­stra­tio­nen mit bis zu 800 000 Teil­nehmern statt. Sie beset­zen dabei auch mehrere Ver­wal­tungs­ge­bäude und fordern den Rück­tritt des Präsi­den­ten. Gegen Jahre­sende flauen die Proteste allerd­ings ab.

16. Jan­u­ar 2013

Das ukrainis­che Par­la­ment schränkt mit einem drakonis­chen Gesetz die Ver­samm­lungs- und Mei­n­ungs­frei­heit ein. Daraufhin flam­men erneut Demon­stra­tio­nen auf – und schla­gen um in Gewalt. Um eine Räu­mung des Maid­an zu ver­hin­dern, wer­den Bar­rikaden mit bren­nen­den Autor­eifen errichtet.

18. bis 20. Feb­ru­ar 2014

Die Sicher­heit­skräfte schiessen mit schar­fer Muni­tion auf die Demon­stran­ten. Rund 100 Per­so­n­en wer­den getötet, knapp 1000 ver­let­zt.

21. Feb­ru­ar 2014

Unter pol­nis­ch­er, franzö­sis­ch­er und deutsch­er Ver­mit­tlung einigt sich Janukow­itsch mit Vertretern der Oppo­si­tion auf einen Kom­pro­miss: Rück­kehr zur par­la­men­tarischen Ver­fas­sung von 2004, ein Amnestiege­setz und vorge­zo­gene Präsi­dentschaftswahlen in zehn Monat­en. Die Demon­stran­ten auf dem Maid­an aber lehnen das Abkom­men ab und fordern Janukow­itschs sofor­ti­gen Rück­tritt.

22. Feb­ru­ar 2014

Janukow­itsch ver­liert den Rück­halt in den eige­nen Rei­hen und von­seit­en der Sicher­heit­skräfte. Er flieht in der Nacht in die Ostukraine und später mit rus­sis­ch­er Hil­fe von der Schwarzmeer­hal­binsel Krim nach Rus­s­land. Das Par­la­ment in Kiew wählt der­weil eine Regierung und einen Über­gang­spräsi­den­ten.

27. Feb­ru­ar 2014

Beginn der Krim Annexion

Bewaffnete Män­ner umstellen das Region­al­par­la­ment auf der Krim. In ein­er irreg­ulären Abstim­mung wählen die Abge­ord­neten eine neue Regierung und beschliessen ein Unab­hängigkeit­sref­er­en­dum. Der Kreml set­zt rus­sis­che Sol­dat­en ohne Hoheitsabze­ichen ein, um die Hal­binsel zu annek­tieren.

3. März 2014

Der rus­sis­che Uno-Botschafter präsen­tiert im Sicher­heit­srat einen Brief von Janukow­itsch an den rus­sis­chen Präsi­den­ten Wladimir Putin. Darin fordert er den Kremlchef auf, seine Armee einzuset­zen, um in der Ukraine wieder für «Gesetz und Ord­nung» zu sor­gen. Bere­its am 1. März hat­te der rus­sis­che Föder­a­tionsrat einen Trup­penein­satz in der Ukraine genehmigt. Rus­s­land hat­te an der Ost­gren­ze der Ukraine bere­its rund 40 000 Sol­dat­en konzen­tri­ert und führte Manöver durch.

April 2014

Von Moskau aus koor­diniert, stür­men prorus­sis­che Demon­stran­ten im Süden und Osten der Ukraine die regionalen Ver­wal­tun­gen. Dabei wer­den auch junge, kräftige Män­ner in Bussen aus Rus­s­land über die Gren­ze zu den Protesten gefahren. Am 12. April beset­zt ein aus der Krim ein­gesick­ertes Kom­man­do unter Führung von Igor Girkin, einem Reserveoberst des rus­sis­chen Geheim­di­en­stes, die Stadt Slow­jan­sk im Don­bass. Es ist der Beginn des Krieges in der Ostukraine.

17. Juli 2014

Abschuss Flug MH17

Prorus­sis­che Sep­a­ratis­ten schiessen über der Ostukraine ein ziviles Flugzeug ab. Alle 298 Pas­sagiere an Bord der MH17 kom­men ums Leben. Die Eskala­tion führt zu ein­er hefti­gen inter­na­tionalen Reak­tion. Die USA und Europa ver­schärften ihre als Folge der Krim-Annex­ion ver­hängten Sank­tio­nen gegen Rus­s­land, und die Kon­flik­t­parteien unterze­ich­neten in der Haupt­stadt von Weis­s­rus­s­land am 5. Sep­tem­ber das erste Min­sk-Pro­tokoll.

12. Feb­ru­ar 2015

2. Minsker Abkommen

Das zweite Minsker Abkom­men wird unterze­ich­net. Es bleibt mehrheitlich tot­er Buch­stabe: Wed­er ziehen die Kon­flik­t­parteien ihre schw­eren Waf­fen aus dem Kon­flik­t­ge­bi­et ab, noch kom­men poli­tis­che Lösungsan­sätze wie Dezen­tral­isierung und eine Autonomieregelung für die Ostukraine vom Fleck. Auch die zahlre­ichen Waf­fen­still­stände seit 2014 wer­den stets nur teil­weise einge­hal­ten.

15. Novem­ber 2018

Bei der Meerenge von Kertsch im Schwarzen Meer kommt es erst­mals zu ein­er direk­ten mil­itärischen Kon­fronta­tion zwis­chen Rus­s­land und der Ukraine. Rus­sis­che Küsten­boote beschiessen dabei ukrainis­che Kriegss­chiffe, welche ver­sucht­en, ins Asowsche Meer zu gelan­gen. 24 ukrainis­che Marineange­hörige befind­en sich sei­ther in Rus­s­land in Haft.

23. Feb­ru­ar 2022

Putin erklärt der Ukraine den Krieg

Wladimir Putin erk­lärt der Ukraine den Krieg. In der Nacht auf den 24. Feb­ru­ar über­queren erste Ver­bände ein­er in den Vor­monat­en in die Region ver­legten riesi­gen rus­sis­chen Stre­it­macht von geschätzt 190 000 Mil­itärange­höri­gen die Gren­ze zur Ukraine. Eine grossan­gelegte Inva­sion des Nach­bar­lan­des begin­nt. In den Wochen und Monat­en davor hat­te Putin immer wieder von der Nato unein­gelöste Sicher­heits­garantien ver­langt und der Ukraine die staatliche Sou­veränität abge­sprochen.

Das russische Narrativ der ukrainischen Nazis

Rus­s­lands Angriff­skrieg gegen die Ukraine ist nach dem Nar­ra­tiv des Kreml ein Akt der Selb­stvertei­di­gung, die ukrainis­che Regierung in Kiew nichts weit­er als ein Nazi-Regime. Die rus­sis­che Pro­pa­gan­da wird nicht müde zu ver­bre­it­en, dass ukrainis­che Faschis­ten Leib und Leben rus­sis­chstäm­miger Men­schen bedro­ht­en.

Wie Rus­s­lands Präsi­dent Wladimir Putin, als er bei einem Tre­f­fen mit Vertretern der heimis­chen Luft­fahrt­branche behauptete, nach dem Sturz des ukrainis­chen Präsi­den­ten Vik­tor Janukow­itsch im Jahr 2014 hät­ten ukrainis­che Nation­al­is­ten einen Krieg gegen Rus­s­land vom Zaun gebrochen: “Damals hat man mit dem Krieg begonnen. Er hat acht Jahre gedauert mit dem Ziel, die Men­schen zu ver­nicht­en, die mit der rus­sis­chen Kul­tur, mit der rus­sis­chen Sprache ver­bun­den sind.”